Die KINOTANTE im Juli

Revival der ältesten Kinos der Welt - Das Original

von Alejandra M. Falcone

Sie schossen einst wie Pilze aus den Böden: die Kinos des 20. Jahrhunderts. Die Geburtsstunde des Films und der Kinematographie brachte nicht nur eine Umwälzung in Bezug auf die Sehgewohnheiten und der bildhaften Wahrnehmung mit sich. Auch Städtebau und Architektur waren bald davon betroffen. Für viele stellte es eine begrüßenswerte Herausforderung dar, sich in Zeiten der beginnenden Industrialisierung die Frage zu stellen, in welchem Umfeld, unter welchen Gegebenheiten die Häuser, in denen die neue technische Errungenschaft präsentiert werden sollte, zu bauen seien. Raumkonzepte wurden entwickelt, nachdem die ersten Vorführungen der Filme in Zelte, unter freiem Sternenhimmel, im Café, im Theater, in Schaubuden und im sogenannten "Panoptikum" stattfanden. Vom Kuriositätenkabinett zum ersten Ladenkino verging dann auch kein Jahr. 

Um heute die Entstehung der historischen Lichtspielhäuser nachvollziehen zu können, muss man deren ganz eigene Geschichte kennen. Sie führt zwangsläufig auf eine Zeitreise: eine Odyssee durch Archive, Guinness-Buch-Einträge, Zeitungsartikel und Stadtbibliotheken. Eine schier endlose Reise mit vielen Details und Geschichten, die aber auch von netten Gesprächen begleitet wird, etwa mit den Kinobetreibern, die von früher erzählen. Angefangen hat meine Suche mit der kindlichen Neugierde, genauer gesagt der Frage meines Sohnes, wo eigentlich das allererste Kino steht."Und gibt es das noch?", fragte er. Die Frage traf mit dem Umstand zusammen, dass ich kurze Zeit davor im Internet von der "Wiedergeburt" einiger traditionsreicher Kinos las und dabei förmlich über das Kino L'Eden in La Ciotat stolperte. Wie konnte das sein? Feierten die Brüder Lumière ihre Premiere nicht in einer Kongresshalle? Damals, am 22. März 1895 wurde es ganz still, als das Licht ausging. Die Pioniere der Kinematographie, Auguste und Louis Lumière, führten Industriellen und Verbandspolitikern der Pariser Handelskammer den ersten Film der Welt vor. Knapp zehn Monate später, am 28. Dezember 1895, dann die erste öffentliche Vorführung Frankreichs im Pariser "Salon Indien du Grand Café". Ein zahlendes Publikum gab es nun auch. Doch auch dort stand nicht das lauschige Gehäuse, in dem wir von nun an viele schöne, beglückende, aufwühlende und bezaubernde Filmmomente erleben durften. Auch die zuvor, am 1. November 1895 im Berliner "Wintergarten" durch die Brüder Skladanowksy veranstaltete öffentliche Filmvorführung fand nicht in einem Lichtspieltheater, sondern in einem Hotel statt. Und zu der vermutlich am 5. Februar 1894 in Manhattan gefeierten, allerersten Filmschau hat Jean-Aimé LeRoy höchstwahrscheinlich auch noch in die eigenen vier Wände eingeladen. Von einem ältesten Kino der Welt ist in Manhattan leider auch nichts mehr zu sehen. 

So nahm die Suche ihren Lauf. Mittlerweile, nach dem ich die im letzten Jahr begonnene Reihe fortgeführt und mehrere Sendungen rund um das Thema veranstaltet habe, bin ich der Sache ein ganzes Stück näher gekommen. Konnten meine Recherchen zunächst nur als Zwischenergebnis gedeutet werden, die als Grundlage für eine komplexe Auseinandersetzung um die Geburtsstunde des einen Kinos, die Mutter aller Lichtspielhäuser dienen, weiß ich nun, dass dieses eine Kino existiert, und wo es steht. Daraus entstanden ist demnach eine kinematographische Studie, zu der ich gerade im Begriff bin, ein Buch zu verfassen. Und mit jedem Kinoporträt, das im Radio vorgestellt wird, setze ich meine Reise um die Welt fort, auf den Spuren jener Orte, in denen noch heute Kinogeschichte geschrieben wird. 

Ich lade Sie und Euch hiermit herzlich ein, mich zu begleiten. Wir werden die erste öffentliche Schlägerei in einem Berliner Kino erleben - selbstverständlich auf der Leinwand, mit Charlie Chaplin. In London und Australien treffen wir unseren alten Freund Bogie wieder, der uns auffordert, ihm in die Augen zu schauen. Auch in Aserbaidschan flimmerten sehr früh bekannte und eher unbekannte Helden des Films über die Leinwand. Unser nächstes Ziel ist China - am 17. Juli bei Freies Radio Freudenstadt.

Daguanlou-yingxiyuan 大观楼影戏园, Peking/ China, 1905 - bis heute


Ausserdem in dieser Ausgabe: Wie immer Neuigkeiten aus der Filmbranche, die Festivals und Kinostarts der Region u.a. mit den Filmen DER TAG WIRD KOMMEN, DAS WOCHENENDE und DAS LEBEN IST NICHTS FÜR FEIGLINGE ...